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Max Martin: Mozart des Pop

Wie, Sie kennen Max Martin nicht? Ich wette mit Ihnen 100 Euro, dass Sie ihn kennen. Und ich werde gewinnen. Max Martin ist nämlich so etwas wie der Mozart des Pop. Und das ist nicht mal übertrieben.

Jetzt kann man natürlich geteilter Meinung darüber sein, ob Popmusik jemals einem Vergleich mit der Klassik standhalten würde. Aber im Grunde geht es um ein System von der Anordnung der Töne zu einem Wohlklang, die Max Martin über die Jahre perfektioniert hat und nach der sich andere richten. Mozart ist auch eine Messlatte für die perfekte Harmonie.

Nehmen wir beispielsweise die aktuellen US-Charts: Dort klebt seit zwölf Wochen eine Pop-Single namens "Problem" in den Top-5. Der Song brauchte am Erscheinungstag, dem 28. April, nur 37 Minuten, um auf die Eins der iTunes-Charts zu schießen. Das sind zwar keine offiziellen Charts, aber dank Apple mittlerweile die mächtigsten. In der ersten Woche wurde der Song 438.000 Mal heruntergeladen. Die Sängerin heißt Ariana Grande, sie trägt meist kurze Röckchen und lutscht gerne Lollis. Die 20-Jährige stammt aus Florida, das ist dort, wo die verzogenen Gören mit den großen Manga-Augen herkommen. Ihre aktuelle Single „Break Free“ ist auch von Max Martin und hängt seit Wochen ganz vorne in den Charts.

Die Formel ist so einfach wie genial: Einige stimmig arrangierte Dur- und Moll-Akkorde richtig kombiniert, oft angelehnt an bereits bestehende Hits, dazu eine herausragende Stimme, ein bisschen Sex und sehr viel Unschuld - fertig ist das Pop-Wunder. Fragen Sie mal Britney Spears, die kennt das auch. Nicht umsonst ist sie Max Martins beste Kundin.

Natürlich klingt das alles sehr salopp, doch es gibt ihn wirklich, den kalkulierbaren Ohrwurm, den Einheitsgeschmack. Alle verstehen ihn, aber kaum einer beherrscht ihn. Max Martin schon. Ariana Grande. Maroon 5. Die Backstreet Boys. Rednex. Usher. Justin Bieber. James Blunt. Sie alle vertrauten auf Mr. Martin. Sie alle wurden Weltstars. Dank ihm.

Max Martin steckte hinter nahezu jedem relevanten kommerziell erfolgreichen Popsong der letzten 20 Jahre. Glauben Sie nicht? Also weiter: Celine Dion. Avril Lavigne. Flo Rida. Shakira. Taylor Swift. Und Britney. Max Martin machte die Kleine aus dem Disney-Channel zur größten Pop-Sensation des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Das kurze Schuluniform-Röckchen durfte dabei natürlich nicht fehlen. Und auch nicht der Lolli.

Aber wer ist dieser Max Martin? Der unbekannteste Prominente der Musikwelt, der seine Zeit in abgedunkelten Studios verbringt, heißt eigentlich Martin Sandberg und kam 1971 in Stockholm zur Welt. Im Land von ABBA haben die Kinder die Musik natürlich schon im Blut, weshalb Martin seine Musikerkarriere als Sänger in der Funk-Metal-Band "It’s Alive" begann. Mäßig erfolgreich zwar, aber immerhin bot ein Produzent namens Dag Krister Volle einen Plattenvertrag an. Er lehrte Martin, wie man Popsongs schreibt. "Ich wusste zuvor gar nicht, was ein Produzent eigentlich macht", gestand Martin später in einem seiner seltenen Interviews. Volle nannte sich Denniz PoP und schrieb Anfang der 90er Jahre die größten Airplay-Hits. Darunter Dr. Albans "It’s My Life" oder "Sing Hallelujah", sowie die Mega-Nummer "All that She Wants" von Ace of Base. Die jüngeren von Ihnen tanzten dazu gerade in wallenden Schnürlsamthosen auf ihrem ersten Schulskikurs in der Disco. Denniz PoP und Max Martin wurden Partner, man schrieb die Single "Wish You Were Here" von Rednex und schuf das zweite Ace of Base-Album "The Bridge" mit Hits wie "Beautiful Life" oder "Lucky Love". Doch all das war erst der Anfang für Mozart. Sein "Bastien und Bastienne" sozusagen.

1995 begann das Marketing für eine neue Boyband aus Orlando. Wieder Florida, diesmal ohne Lollis. Die Band nannte sich Backstreet Boys, und sämtliche ihrer Hits stammten vom Duo DennizPoP/Max Martin. Von "Quit Playing Games With My Heart" über "Everybody" bis "As Long As You Love Me". Zeitgleich werkte Martin an der Boyband NSync ("It’s Gonna Be Me"). In Schweden gehörten Künstler wie Robyn mit "Show Me Love" zu seinem Klientel.

Denniz Pop starb 1998 im Alter von nur 36 Jahren an Prostatakrebs. Die Backstreet Boys widmeten ihm ihren Song "Show Me the Meaning of Being Lonely" (1998), im Video fährt ein Bus mit der Destination "Denniz Street" durchs Bild.

Max Martin machte weiter im Geiste seines Mentors. Jetzt fing der Erfolg erst richtig an: Denn 1998 ließ Britney Spears mit "Baby One More Time" alle Konkurrenten hinter sich. Den Hit hatte Martin schon einige Zeit in der Schublade. Er entstand für die R&B-Band TLC ("Waterfalls"), doch die wollte ihn nicht. Später verlautete das Trio: "Nicht jeder Song passt zu jedem Künstler. Wir hätten nie ‚Hit Me Baby‘ gesungen". Aber sind TLC wirklich glücklich darüber, einen der größten Pop-Hits aller Zeiten abgelehnt zu haben?

Der Song markierte ein Pop-Debüt wohlgemerkt, also eines, bei dem Substanz und Nachhaltigkeit unter Rhythmik und Gefühl zu leiden hatten. So verlangte es das Geschäft. Spears‘ Debütalbum verkaufte 30 Millionen Kopien.

Insgesamt aber doch nur seichter Teenie-Pop? Weit gefehlt! Bryan Adams ließ sich von Max Martin "Cloud Number 9" schreiben, Celine Dion ihren Mega-Hit "That’s the Way It Is", Bon Jovi "It’s My Life". Dann wieder die Backstreet Boys mit dem Mega-Knaller "I Want It That Way", Nummer eins in 25 Ländern. Und sein Opus Magnum, Britney Spears‘ "Oops I Did It Again". Das ist sozusagen Max Martins "Zauberflöte". Der Song ist übrigens, freundlich formuliert, eine deutlich hörbare Referenz an Barbra Streisands "Woman in Love".

Bald aber war zuckerlbunter Teenie-Pop out, und die Welt verlangte nach "R&B". Der Pop wurde ein bisschen wilder. Max Martin erfand den Sound für Kelly Clarkson ("Since You’ve Been Gone"), Pink (von "So What" bis "Raise Your Glass") und Katy Perry ("I Kissed a Girl"). Die Bilanz von Max Mozart bis heute: 135 Millionen verkaufte Singles. 17 Nummer-1-Hits in den Billboard-Charts, mehr als Michael Jackson oder Madonna. Vor ihm mit 20: Nur mehr - die Beatles.

Aber wie kann es eigentlich sein, dass nur eine einzige Person verantwortlich für den Musik-Geschmack einer ganzen Generation ist? Max Martin gestaltet diese, seine, Pop-Welt seit gut 20 Jahren, er bestimmt, welche Harmonien wir gut finden. Oder anders gesagt: Er gibt uns die Harmonien, die wir gut finden. Martins Songs sind höchst unterschiedlich, und dann auch wieder nicht: Bei den Backstreet Boys, NSync oder Britney Spears war schnell klar, dass sich hinter diesen Pop-Konstrukten ein und dieselbe Crew befinden musste. Die Zeit war auch danach: Der Teenie-Pop der späten 90er klang schon damals altmodisch, aber er hatte etwas, das zum "Unique Selling Point" von Max Martin wurde: Dieser Pop walzte alles platt, was sich ihm in den Weg stellte. Niemand konnte "Baby One More Time" entkommen, zu gewaltig (und zugleich tempomäßig gemächlich) wuchteten da Beats und Harmonien über einen hinweg. Unausweichlich in Dynamik, Rhythmik, Melodie. Man konnte sich dem nicht entziehen. Verzeihen Sie den makabren Vergleich: Diese Songs waren Tsunamis des Pop, sie rissen alles mit sich.

Martin nimmt seine Song-Ideen mit einem Diktiergerät auf. Nur eine von 300 Ideen erreicht den Demo-Tape-Status. "Man muss ein Massenmörder sein und seine Lieblinge töten". Übrig bleibt ein effektives Musik-Konzentrat: Sein Sound besteht aus klassischen Strophe-Refrain-Strukturen. Die Refrains sind durch ihre meist achttaktigen Formen einprägsam. "Der Refrain bildet meistens auch die Hookline des Songs, sodass er selbst von uninteressierten Hörern schnell wiedererkannt wird. Weiterhin typisch sind Modulationen der letzten Refrain-Wiederholungen in einer höheren Tonart sowie überlappende Refrains, bei denen mehrere Gesangsparts ineinander münden", wird auf Wikipedia analysiert.

Der Manager der Band Westlife, Lois Walsh, sagte über Martin: "Max hat diesen magischen Staub, den er über die Songs streut. Seine Songs sind weltweite Pop-Monster." Max Martin, der Dr. Frankenstein des Pop.

"Popmusik dreht sich immer um das Jetzt", sagte Max Martin zum Magazin "Popjustice". "Die Zeit wird zeigen, welche Songs überleben. Darum geht es doch in der Popkultur. Wenn Menschen Angst davor hätten, wie sie auf alten Fotos aussehen, würde niemand modische Kleidung kaufen - alles passiert also im Moment".

Max Martin hat damit nicht unrecht. Aber viele seiner dereinst als "Kindermusik" belächelten Songs genießen heute den Status eines Klassikers.

Die 438.000 Downloads in Woche eins für Ariana Grande und "Problem" sind übrigens kein Rekord. Sie belegt nur Platz fünf der meist heruntergeladenen iTunes-Songs aller Zeiten. Auf Platz eins thront dort Katy Perrys "Roar". Der Song schaffte 557.000 Downloads im selben Zeitraum. Raten Sie mal, wer ihn geschrieben hat? Zeit für unseren Wetteinsatz. Und jetzt her mit dem Hunderter!

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